Candidate Experience: war da nicht was?

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Employer Branding

Das letzte Monat im Jahr ist da, Zeit für diverse Rückblicke. 2015 war also das Jahr der Candidate Experience. Einen sehr schönen Überblick über das Thema hat Herwig Kummer schon letztes Jahr gebracht. Martina Kettner hat auf dem karriere.blog ein paar Ansätze dazu verfasst (bitte vor allem die Kommentare lesen, besser kann man sich dem Thema gar nicht nähern).

Textkernel brachte in Zusammenarbeit mit karriere.at und hr-web Anfang 2015 eine Studie heraus. 83 % der Unternehmen geben an, dass Candidate Experience eines der Top Themen ist. Fazit:

Eine positive Candidate Experience liegt dann vor, wenn sich die Bewerberin bei jedem Kontakt gut aufgehoben und willkommen fühlt.
Knapp ein Jahr später sollte sich also einiges getan haben, oder? Seit meinem Bericht über Anna und das „Best“ Practice Beispiel Active Sourcing erhalte ich laufend Berichte. E-Mails mit Erlebnissen (teilweise mit Screenshots als „Beweis“), und viele erzählen mir natürlich persönlich, wie es denn mit der Candidate Experience so läuft. Und persönliche Erfahrung durfte ich auch wieder einmal machen! Also habe ich heute ein paar Schmankerl im Angebot:
Beginnen wir mit der schnellsten Reaktionszeit aller Zeiten!
Martin ist auf Jobsuche. Findet online ein Inserat und denkt sich, das könnte interessant sein. Er bewirbt sich um 13:41 Uhr per Mail bei einem österreichischen „traditionellen Verband und modernen Dienstleister“. Um 16:12 Uhr am selben Tag erhält er eine Rückmeldung. Nein, es ist nicht wie vermutet eine Eingangsbestätigung, es ist bereits die Absage. Hier der Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Martin,
vielen Dank für Ihre Bewerbung und Ihr Interesse an unserem Unternehmen. Es ist uns nicht leicht gefallen, unter der Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eine Auswahl zu treffen. Leider können wir im engeren Kreis der BewerberInnen nur diejenigen Kandidaten berücksichtigen, deren Qualifikationsprofil den spezifischen Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle entspricht. Wir bedauern sehr, Ihnen keine bessere Nachricht geben zu können. Bitte informieren Sie sich auch weiterhin auf unserer Homepage über unsere aktuellen, offenen Positionen und zögern Sie nicht, uns erneut anzusprechen, sobald eine für Sie interessante Stelle ausgeschrieben ist. Für Ihre weitere berufliche Zukunft wünschen wir Ihnen in der Zwischenzeit alles Gute und viel Erfolg.
Also eigentlich alles richtig gemacht. Schnelle Reaktionszeit, ein Absageschreiben mit der Ermunterung, sich doch gerne wieder einmal zu bewerben und nette Wünsche für die berufliche Zukunft. Und sogar teilweise gegendert. „Es ist uns nicht leicht gefallen, unter der Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eine Auswahl zu treffen.“ – aber in nur 3 Stunden haben sie es hingekriegt, Respekt!
Genau das Gegenteil hat Martin übrigens bei einem internationalen Technologiekonzern erlebt. Bewerbungsprozess äußerst mühsam, Martin hat (seine Worte) „gefühlte 3 Stunden“ ein Onlineformular ausgefüllt und dann CV, Dienstzeugnisse etc. hochgeladen. Per E-Mail die Info bekommen, „Danke wir haben Ihre Bewerbung erhalten“. Weitere Reaktion? Null. Nichts. Seit 3 Monaten (!). Und ich habe gerade nachgesehen, die Position ist laut Karriereseite immer noch ausgeschrieben. Also wenn es wem nicht leicht fällt, unter der Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eine Auswahl zu treffen, dann wohl diesem Unternehmen. Die prüfen offenbar ganz besonders sorgfältig. Die Unterlagen zumindest, denn mehr haben sie noch nicht. Und zu mehr wird es wohl auch nicht kommen.
Aber gut, wir wollen nicht kleinlich sein, 3 Monate – da geht noch was. Einer meiner Studenten hat mir erzählt, er hat jetzt 14 Monate (!) nach der Bewerbung für ein Berufspraktikum eine Absage erhalten – von einer Bank übrigens. Interesse an einem Praktikum hat er eh nicht mehr, aber als Kunde sieht ihn diese Bank wohl künftig auch nicht.
Nächstes Beispiel zu Reaktionszeit und Text im Absageschreiben:
Ich bin auch als Interims Recruiterin tätig und hatte ein ähnliches Erlebnis wie Henrik Zabarowksi. Ein Unternehmen in Wien hatte über längeren Zeitraum eine Stelle als Recruiter/in ausgeschrieben. Eine allgemeine E-Mail-Adresse war angegeben und ich habe daher per E-Mail angefragt, ob denn eine Interims-Lösung vorstellbar sei. Stelleninserat und Website sind auf Deutsch, mein Mail habe ich entsprechend auch auf Deutsch verfasst. Exakt 2 Wochen nach meiner Anfrage erhalte ich folgende Rückmeldung:
Betreff:
Your application as Recruiter
Dear Ms. Lorber,
thank you for your application and your interest in working for us! We regret to
inform you that in spite of your good qualifications we cannot consider your
application any further. We decided to continue the process with candidates
whose qualifications and level of experience match our profile more closely.
We wish you the best for your job search and your professional career!
Kind regards,
Es scheint also, dass sich tatsächlich mehrere um eine Position als Interims Recruiterin „beworben“ haben. Und die waren eben einfach alle noch besser qualifiziert als ich. Sehr nett finde ich die Wünsche für meine Jobsuche. Vielleicht ist das ja irgendwann mal wieder der Fall, dann kann ich darauf zurückgreifen. Natürlich kostet es ein paar Sekunden mehr Zeit, zu schreiben „Nein danke, kommt für uns nicht in Frage“ als copy & paste zu drücken und natürlich zählt das nicht, weil ich mich ja nicht „wirklich“ für den Job beworben habe. Werde ich bei diesem Unternehmen wohl auch künftig nicht.
Und weil wir grade dabei sind, hier der Text einer Nachricht auf LinkedIn, gesendet von einer Person mit der Berufsbezeichnung „finding great talent“ bei einer der größten Personalberatungen weltweit:
Dear Claudia, Hope you are well I have an exciting role working onsite at a company as
a recruitment business partner .Fancy an adventure of a life time? I would be
keen on speaking to you about opportunities with us. I look forward to hearing
back from you. Kind Regards,
Auf meine Antwort sinngemäß „Danke für die Nachricht, aber ich habe kein Interesse“ folgt – nichts! Kein „Alles klar, danke“, kein „Schade“, kein „Ok, vielleicht ja später“ – nichts! Ich weiß für welches Unternehmen hier gesucht wird und so wie ich haben vermutlich zig andere Recruiterinnen diese Nachricht bekommen. Rückantwort aber wohl nur die, die „Yes please“ zurückgeschrieben haben (ich hoffe es jedenfalls!). Und alle anderen denken sich eben ihren Teil. Über die Personalberatung und über das Unternehmen. Das übrigens wahnsinnig viel Geld für’s Branding ausgibt. Für Employer Branding reicht es vielleicht nicht mehr.
Ich merke gerade, ich habe schon so viele Beispiele gesammelt, ich könnte zig Beiträge verfassen. Aber jetzt möchte ich noch ein Beispiel bringen, wie es auch aussehen könnte:
Sebastian hat sich bei einem Start up beworben. Sehr unkompliziert, kurzes Onlineformular mit den Stammdaten, CV hochladen und ab damit. Am nächsten Tag ein Anruf, Terminvereinbarung für ein Telefonat mit dem Geschäftsführer. Das hat 2 Tage später stattgefunden mit dem Versprechen, dass es innerhalb einer Woche die Rückmeldung gibt. Wieder 2 Tage später dann erhält Sebastian dieses E-Mail:
Hallo Sebastian,
als erstes möchte ich mich noch einmal bedanken, dass Du Dich bei uns beworben hast und wir die Chance hatten, Dich kennen zu lernen. Wir haben uns zusammengesetzt und diverse Möglichkeiten geprüft. Du hast einen sehr positiven Eindruck hinterlassen können. Allerdings glauben wir, dass unsere Suchanforderungen nicht 100% zu Deinen Erwartungen passen – zumindest derzeit. (Geschäftsführer) fand das Gespräch mit Dir aber richtig super. Auf Grund dieses Feedbacks wollte ich Dich fragen, ob ich noch einmal auf Dich zukommen darf, wenn wir eine passende Position für ein weiteres Projekt suchen. Es tut mir sehr leid, dass es jetzt im ersten Anlauf nicht klappt. Aber ich würde mich freuen, wenn wir bzgl. einer Zusammenarbeit einfach in Kontakt bleiben.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg!
Beste Grüße
Sebastian hat den Job eben nicht bekommen, aber mir vom Prozess erzählt. Weil eine positive Candidate Experience liegt dann vor, wenn sich der Bewerber bei jedem Kontakt gut aufgehoben und willkommen fühlt.
Und wie sieht es in euren Unternehmen mit der Candidate Experience aus? Was würden mir eure Bewerberinnen berichten?

Herzliche Grüße
Claudia

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